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Schüler helfen ehemaligen Zwangsarbeitern und anderen NS-Opfern in Kiew, Minsk und Moskau.

„Kinder und Krieg“.

Einige persönliche Anmerkungen zum Projektziel.

Von Jan Illig.

„Kinder und Krieg“ – diese Vorstellung, die nicht nur bei Eltern ein Gefühl von innerer Panik und grenzenlosem Mitleid wachruft, läßt sich nicht einfach verdrängen, weil es sich hier um eine permanent existente menschliche Urangst handelt: Das Leiden und Sterben von Kindern erleben zu müssen, ohne etwas dagegen tun zu können.

Genauso wenig ist es uns Europäern möglich, uns etwa damit zu trösten, daß das Sterben und Leiden von Kindern und Jugendlichen in Krieg und Terror auf unserem Kontinent mit dem Ende des letzten Weltkrieges aufhörte. Krieg und Terror haben auch im heutigen Europa eine Heimstatt – an seinen Grenzen und in seinem Zentrum.

Vor dem Hintergrund dieser bitteren Tatsache erscheint der, mindestens seit 60 Jahren, wohlbekannte und immer wieder zitierte Satz: „Nie wieder Krieg!“ oft als Notanker, der in viel zu tiefen Gewässern ausgeworfen wird und das abdriftende Schiff doch nicht zum Stehen bringt.

Vielleicht kann unser Projekt „Schüler helfen ehemaligen Zwangsarbeitern und anderen NS-Opfern in der GUS“ zu einem Riff werden, an dem sich der Anker „Nie wieder Krieg!“ verhakt – mit konkretem und reale Hoffnung spendendem Resultat.

Hierzu ist es erstens erforderlich, daß sich alle am Projekt Beteiligten selbst darüber klarzuwerden und gegenüber der Öffentlichkeit darstellen müssen, in welches Zusammenspiel die psycho-soziale Unterstützung von NS-Opfern und das Streben nach „Nie wieder Krieg!“ gebracht werden sollen und wie die psycho-soziale Hilfe letztendlich aussehen kann.

Wenn man eine solche Hilfe nicht formell verstanden wissen und (vor den Sponsoren des Projektes) abrechnen möchte, muß sie mehr sein, als, daß Kinder und Jugendliche, (anfänglich) motiviert allein durch ihr eigenes großes Herz und die Anerkennung ihrer Lehrer, alte Menschen besuchen, die nicht ihre eigenen Großeltern sind, für sie aufräumen, ihnen nötige Lebensmittel kaufen, mit ihnen spazierengehen und deren Lebensgeschichten niederschreiben. Eine so verstandene Hilfe, wäre Hilfe für den Moment: Eine mehr oder weniger gute Erfahrung für die helfenden Schüler, vielleicht angenehme Überraschung für die jahrelang vergessenen ehemaligen Zwangsarbeiter.

Schwammig bleibt bei einer solchen Hilfe allerdings deren konkreter Wert für die Friedens- und Demokratieerziehung der Kinder und Jugendlichen und der Beitrag zum generationsübergreifenden Verständnis zwischen Kindern von heute und den Kindern des damaligen Krieges. Die spontane Bemerkung der ehemaligen Zwangsarbeiterin Nade?da Stepanovna G. auf einem der ersten Zusammentreffen zwischen Minsker Projektschülern und ehemaligen minderjährigen Zwangsarbeiterinnen aus Minsk: „Kinder, was habt ihr von Eurer Hilfe? Gestern waren wir Zwangsarbeiter, heute seid Ihr es?“, deutet besonders deutlich darauf hin, welche herausragende Rolle Aufklärung, Moderation und fundierte pädagogische Begleitung in unserem Projekt spielen müssen.

Übersehen werden darf in Bezug auf die erfolgreiche Realisierung des Projekts „Schüler helfen ehemaligen Zwangsarbeitern und anderen NS-Opfern in der GUS“ ebenfalls nicht, daß das vordringliche Interesse der noch lebenden NS-Opfer in der GUS, ähnlich wie das anderer sozial schwacher Bevölkerungsgruppen, zuerst auf die materielle Sicherung des eigenen Lebens gerichtet ist – und unter humanitärer Hilfe zuerst direkte materielle Unterstützung verstanden wird.

Dies ist ein unumstößlicher Fakt, und es wäre wenig nutzbringend, hiervor die Augen zu verschließen. Während meiner Sondierungsweise ist bei zahlreichen privaten und öffentlichen Zusammenkünften der Satz: „Unsere ehemaligen Zwangsarbeiter brauchen vor allem Geld und Medikamente!“ mindestens genau so oft zitiert worden wie der Satz „Nie wieder Krieg!“.

In dieser Beziehung besitzt unser Projekt einen neuartigen Ansatz, der darin besteht, über materielle Hilfe hinaus zu erreichen, daß sich junge Menschen für die Lebensgeschichten alter Menschen und alte Menschen für die Probleme der Jugend und die Hintergründe deren sozialen Handelns aufschließen.

Nur, wenn es gelingt, eine solche Brücke zwischen den heutigen und damaligen Kindern zu schlagen, kann es auch gelingen, daß unserer humanitäres Projekt für alle Beteiligen zu einer bleibenden positiven Erinnerung wird, daß seine Ergebnisse, den einen, nämlich den betagten ehemaligen Zwangsarbeitern und anderen NS-Opfern, psychische und etwas materielle Erleichterung und den anderen, also den helfenden Kindern und Jugendlichen von heute, die Motivation bringen, weiterhin soziales Engagement zu zeigen, ja den Satz: „Nie wieder Krieg und Terror!“ für ihr eigenes Leben mit Inhalt zu füllen.

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